Nachhaltige Ernährung - ein Menschenrecht

Was ist wichtiger – die beste Ernährung oder die beste Umwelt?

Der Mensch ist was er isst. Daher gehört die nachhaltige Ernährung zu den wichtigsten Einflussfaktoren der Gesundheit. In der modernen Gesellschaft gilt dies umso mehr, als Lebensmittel, deren Züchtung, Erzeugung und Verwendung sich immer mehr von natürlichen Zusammenhängen entfernen. Sind also Veränderungen in der Ernährungspolitik mehr von Nöten als Veränderungen beim Einzelnen? Wie hängen Diätwahn, Landwirtschaft- und Umweltpolitik zusammen?

Ernährungsverhalten und Diäten – nur eine Seite der Medaille

Schädliche Ernährungsgewohnheiten zählen zu den Hauptursachen für vorzeitigen Tod und chronische Krankheiten. Eine optimale Ernährung ist mit einer erhöhten Lebenserwartung, einer drastischen Verringerung des Risikos für alle chronischen Krankheiten und selbst einer Verbesserung von genetischen Funktionen verbunden. Doch leider werden mehr irreführende Werbeaussagen zu Lebensmittel und Gesundheitsbezug verbreitet als Wahrheiten.  Eine Fülle von Behauptungen verunsichern Verbraucher, mit denen ein Wettbewerbsvorteil der einen Wunder-Diät gegenüber einer anderen „Healthy diet“ beworben wird. Die kommerziellen Interessen hinter den Slogans zu neuartigen Diäten, Super-Foods oder Powershakes sind nicht immer sofort erkennbar. Überwiegend setzen sie beim Konsumenten an, nicht beim Hersteller und die Umwelt wird ganz außen vor gelassen.
Um eine Skalierbarkeit zu erreichen, wird ein Trend oder ein Problem aufgegriffen, das eine größere Gruppe von Menschen betrifft. Beispiel Blutgruppendiät: Da in Deutschland ca. 72 % der Bevölkerung Blutgruppen O und A aufweisen und Käse viele Kalorien hat, liegt es nahe, diesen Zielgruppen als Ursache für das Übergewicht den Übeltäter Milchprodukte einzureden. Erfolgreich ist es allemal, wenn auch nur kurzfristig: wer die Beilagen oder Käsekruste weg lässt, hat automatisch weniger Kalorien auf dem Teller. Blutgruppe A lässt neben der Milch auch Fleisch weg und ernährt sich somit ovovegetarisch. Wissenschaftlich belegt sind diese Theorien nicht (siehe Stellungnahme DGE). Auch bei so manchen online-Auswertungen zur Ernährungsoptimierung steht nur ein Zufallsgenerator dahinter sowie Links zu einem Shop für zweifelhafte Nahrungsergänzungsmittel.

Erkennungsmerkmale für unseriöse, nur kurzfristig wirksame Ernährungsempfehlungen
– Lebensmittel oder Diätaussagen nach Marketingregeln aufbauen und bewerben –

  • Unterschiede werden betont
    z.B. alt gegenüber „jetzt NEU“ oder „neue Studie…“
  • Sehnsüchte werden aufgegriffen und mit Bildern oder Testimonials bestätigt
    z.B. Schlank im Schlaf oder  gute Figur ohne viel dafür tun zu müssen
  • Individualisierung – Du bist anders als die Anderen, wir haben die maßgeschneiderte Diätempfehlung für dich
  •  Große Zielgruppen werden angesprochen
    Beliebte Ernährungsgewohnheiten werden bestätigt, jedoch
    mit gestaffelten Produkten kombiniert (z.B. Laborbestimmung, Trainingsmethode, Küchengerät etc. )

Individuelle Ernährung contra Ernährungssysteme

Während bei unseriösen Ernährungsempfehlungen Unterscheidungen betont werden, zeigt die Ernährungswissenschaft, dass sich die Grundlagen für eine tatsächlich gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung in praktisch allen Ländern überlappen. Die über 7,5 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, besitzen eine genetische Vielfalt die gerade mal einer Population von nicht mehr als 10.000 Individuen entspricht (Krause J. Leseprobe auf buecher.de). Das bedeutet, ganz so verschieden ist es gar nicht was den Menschen gesund hält. Die „Dreiheiligkeit“ auf dem Teller, die Kombination von Sättigungsbeilage, kleiner frischer Gaumenkitzel und Proteinzulage ist im Prinzip in Asien nicht anders als in Europa: dort sind es Lotuswurzeln oder Reis, hier die Nudel oder Knödel. Die Kohlenhydrate stellen die Hauptmenge der Energie. Nur an den Festtagen dreht sich das Verhältnis von Proteinträger zu Kohlenhydrate um. Viel wichtiger als das Verhältnis von Kohlenhydrate zu Protein ist dabei der Verarbeitungsgrad – neudeutsch der glykämische Index und die Portionsgröße. Grundsätzlich aber kommt es auf den Durchschnitt pro Woche an d.h. nicht auf das optimierte Einzelmenü und oder das einzelne Lebensmittel. Doch hier setzt Politik an, denn das Monatseinkommen bestimmt gerade in Deutschland, was auf den Tisch kommt und wie oft. Und, das Montagseinkommen bestimmt damit auch den Gesundheitszustand der Menschen.

Im Vergleich der Gesundheitssysteme verschiedener Länder ( „Global Burden of Disease study, GBD-Studie 2017„) steht Deutschland gar nicht gut da: wir liegen erst auf Platz 38, dh. einen Platz besser als Costa Rica und vor uns auch noch Großbritannien. Beim Indikator für die durch Krankheit oder Behinderung verlorenen gesunden Lebensjahre (DALY) sah es 2017 für Deutschland auch nicht rühmlich aus: mit 144,7 DALYs nahmen wir Platz 33 ein, die Schweiz hingegen lag mit 104,9 DALYs wieder mal an erster Stelle. Irgendwie scheint in Deutschland, dem Land der Würste und Vesperbrote die Aufklärung zur guten oder gar besten Ernährungsweise nicht anzukommen. Noch schlechter sieht es in den USA aus, dem Land der Diäten schlechthin. Eine Expertengruppe aus Baltimore kam 2015 zu dem Schluss, dass das gegenwärtige US-amerikanische Lebensmittelsystem weitgehend ungesund, ungerecht und umweltschädlich ist. Es sei zudem unzureichend belastbar, um die Auswirkungen des Klimawandels, der Ressourcenverknappung und der Bevölkerungszunahme auszuhalten, und damit schlichtweg nicht nachhaltig.

Umwelt: Subventioniert der Staat die Falschen?

Welchen Einfluss hat die Umwelt auf die Ernährungsweise? Fressen die Kühe in den schweizer Alpen ein besseres Gras? (siehe Bericht Umweltbundesamt 2018 , Seite 29). Nun, der Kaloriengehalt der Butter oder das Verhalten des Einzelnen scheinen nicht die ausschlaggebenden Faktor für Übergewicht mit all seinen Folgeerkrankungen zu sein. Eine große Verbraucherstudie zum Vergleich von Bio-Lebensmitteln mit konventionellen Lebensmitteln zeigte: Die Möglichkeit, Kalorien in nutzbare Körperbestandteile wie Muskel, Speicherfett und schnell verfügbarer Energie umwandeln zu können wird von Inhaltsstoffen beeinflusst, die in keiner Nährwerttabelle stehen. So beeinträchtigen Schadstoffe wie PCBs in fetthaltigen Lebensmitteln, Bisphenol-A in Dosen und Kassenbons, Phthalat-Weichmacher in sonstigen Plastikartikeln (siehe BUND-Bericht 2012: Dickmachende Weichmacher). Mit Rückständen aus Pflanzenbehandlungsmitteln sog POPs (persistent organic pullutants) sind nicht die Vegetarier oder Veganer besonders betroffen, sondern all die, welche viele tierische Lebensmittel (also Fleisch, Wurst, Käse etc) verzehren. Dabei ist es nicht die Kuh oder die Qualität von Rindfleisch und Milch per se welche zum Übergewicht beitragen, sondern die Tierhaltung und die weitflächige Verbreitung von Schadstoffen, welche die Weideflächen kontaminieren und sich im Tier akkumulieren. Mit einer pflanzenbetonten Ernährung könnte sowohl die Gesundheit der Menschen, wie auch das Klima positiv beeinflusst werden (siehe EAT-Lancet-Report). Dabei soll die Fleischmenge halbiert, in Kantinen nur noch Magermilch und wenig Fett, insbesondere Öle anstatt Butter, verwendet werden usw usw. Alles gut, doch diese Ernährungsempfehlungen setzen wieder stark beim Verbraucher an, nicht bei den Verhältnissen und Verursachern.

Warum subventionieren wir immer noch eine Landwirtschaft, deren Produkte massives Übergewicht (Adipositas) und Diabetes hervorrufen? Subventionen in die Landwirtschaft werden oft dafür verantwortlich gemacht, schlechtes Ernährungsverhalten zu fördern. Verarbeitete Lebensmittel und zuckerhaltige Getränke dominieren in der modernen Ernährung immer mehr. Der negative Einfluss von Schadstoffen (siehe oben) aus diesen Lebensmitteln auf die Gesundheit ist nicht mehr zu verdrängen, doch sie sind billig. Nach Untersuchungen von Marion Nestlé (Senior nutrition advicer, NY University) sind sie billig, weil Landwirte, die Pflanzen anbauen, welche als „Grundnahrungsmittel“ eingestuft sind (z.B. Weizen, Sojabohnen, Zuckerrüben, Mais) und weitaus mehr finanzielle Unterstützung erhalten als Landwirte, die Obst und Gemüse anbauen. Das senkt den Preis für Zucker, Öle, Mehl und Fleisch, welche in Junk-Foods Verwendung finden. Doch auch ohne Subventionen, so die Expertenmeinung der US-Professorin der Farm Bill Studie, würden sich Lebensmittel preislich kaum verändern, es gäbe andere Möglichkeiten Kosten zu sparen.

Wie sehr Lebensmittelauswahl und -kenntnisse mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden sind konnte jüngst mit der französischen NutriNet-Santé-Studie  bezeigt werden. An der online durchgeführten Befragung nahmen mehr als 98000 Teilnehmern teil. Davon sind rund 68000 Teilnehmer der Studie 4,5 Jahre lang treu geblieben. Brav haben sie Auskunft über Häufigkeit und Gründe für den Lebensmitteleinkauf, der Wahl ob Bioware oder konventionell, ihrem Gesundheitsverhalten und den jeweiligen aktuellen Gesundheitszustand gegeben. Das Ergebnis war deutlich:

Das  Risiko, innerhalb von 4 bis 5 Jahren an Krebs zu erkranken,
war in der Gruppe mit dem höchsten Verzehr an ökologischen Lebensmitteln
um rund 30% niedriger als in der Gruppe mit dem geringsten Verzehr.

Rechnete man die Teilnehmer heraus, die innerhalb der ersten zwei Jahre des Beobachtungszeitraums an Krebs erkrankten d.h. möglicherweise schon zu Studienbeginn irreparable DNA-Mutationen aufwiesen, so blieb der Effekt nahezu bestehen – das Risiko für Krebserkrankung war bei überwiegendem Verzehr von Bio-Lebensmitteln um 25 % geringer (s.a. Ernährungsumschau 03/2018). Die Studie ist nicht unumstritten: Da die Befragung in der Studie online geführt wurde, die Teilnehmerrunde überwiegend weiblich und überwiegend höheren Bildungsstand hatten, werden die Auswahl und weitere Details kritisiert. Sicher, die Studie wirft noch weitere Fragen auf, auch war der Studienzeitraum relativ kurz. Ein einfacher Rückschluss auf die Auswirkung von Pestiziden auf das Risiko an Krebs zu erkranken kann damit noch nicht gezogen werden. Es gibt keine strengen Langzeitstudien, in denen die Kandidaten mit einem Lorbeerkranz für die beste Ernährung gekrönt werden könnten. Einer der vielen Gründe für die mangelnde Zahl an guten Studien (im klassischen Sinn) zur Ernährung ist, dass es nur wenigen TeilnehmerInnen gelingt, langfristig und verlässlich ihre Ernährung zu dokumentieren. In Ermangelung direkter Vergleiche sind daher Behauptungen über eine „nachgewiesene Überlegenheit“ einer bestimmten Diät oder Ernährungsweise leicht aufzustellen und aus Sicht der Logik erlaubt, da das Gegenteil nicht bewiesen werden kann.

Und wie war es um die traditionelle Ernährung unserer Großeltern bestellt? Die Zutaten waren vorwiegend pflanzlich, im saisonalen Wechsel und naturnah d.h. überwiegend wurden mäßig verarbeitete Lebensmitteln verwendet. Dies entspricht den Empfehlungen des EAT-Lancet-Reports. Insbesondere die kulturell gewachsene mediterrane Ernährungsweise weist viele gesundheitliche Vorteile auf. Die Tricks für die Zubereitung, Haltbarmachung und Wiederverwendung von Lebensmitteln sind heute wieder hoch „modern“, weil nachhaltig d.h. verstehbar, begreifbar, selbst machbar. D.L. Katz und  S. Meller, Wissenschaftler am Prevention Research Center der Yale University School of Public Health, kamen in ihrer Studie zum Vergleich gesundheitlicher Effekte verschiedener Diäten  zu der Schlussfolgerung, dass die Bemühungen, die Gesundheit der Bevölkerung durch Ernährung verbessern zu wollen, nicht aus Mangel an Wissen über die optimale „Fütterung von Homo sapiens“ misslänge, sondern durch zu viel Ablenkung und übertriebenen Behauptungen zu Ernährungsfaktoren, die mittels Studien nicht widerlegbar sind. Solange wir nicht in der Lage seien, das, was wir zuverlässig wissen, d.h. unsere körperlichen wie sensorischen Erfahrungen, in das umzusetzen, was wir routinemäßig tun, sei Wissen keine Macht. Wissen umzusetzen jedoch, das wäre Macht.

Das Recht auf Genuss und auf gesunde Lebensmittel wird von Shannon et.al. als Menschenrecht eingefordert. Damit wünsche ich Ihnen viel Freude beim Einkauf auf dem Wochenmarkt und einem machtvollen Essen!
Ihre Dr. Petra Forster

Literaturquellen:

Curr Obes Rep. 2017 Mar;6(1):18-27. doi: 10.1007/s13679-017-0240-4. Endocrine Disruptors and Obesity. Darbre PD, School of Biological Sciences, University of Reading, Reading, RG6 6UB, UK. p.d.darbre@reading.ac.uk.

Verteilung der Blutgruppen in Deutschland: https://www.blutspendedienst.com/blutspende/blut-blutgruppen/verteilung-der-blutgruppen, download 16.08.19, 11:30 Uhr

Stellungnahme der DGE: Die Blutgruppendiät von P. J. D’Adamo, 01.06.2000, http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=250 download 16.08.19, 11:37 Uhr

Johannes Krause, Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Verlag Propyläen. Leseprobe auf buecher.de.

Dioxine und dioxinähnliche PCB inUmwelt und Nahrungsketten. Umweltbundesamt HINTERGRUND // Okt. 2018, Seite 29, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018_10_uba_hg_dioxine_bf_neu.pdf

NutriNet-Santè-Studie: Association of Frequency of Organic Food Consumption With Cancer RiskFindings From the NutriNet-Santé Prospective Cohort Study Julia Baudry ; Karen E. Assmann; Mathilde Touvier et al, JAMA Intern Med. 2018;178(12):1597-1606. doi:10.1001/jamainternmed.2018.4357

Meta-analysis comparing Mediterranean to low-fat diets for modification of cardiovascular risk factors. Nordmann, A. J.; Suter-Zimmermann, K.; Bucher, H. et.al. doi:10.1016/j.amjmed.2011.04.024 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21854893?dopt=Abstract

Can We Say What Diet Is Best for Health? Katz D.L., Meller S. Vol. 35:83-103 (Volume publication date March 2014) https://doi.org/10.1146/annurev-publhealth-032013-182351

Novel Natural Products for Healthy Ageing from the Mediterranean Diet and Food Plants of Other Global Sources-The MediHealth Project. Waltenberg B., Halabalaki M., Schwaiger S., et.al. Molecules, 2018 May 6;23(5). pii: E1097. doi: 10.3390/molecules23051097 .

 Checkliste: So erkennen Sie eine anerkannte und unabhängige Ernährungsberatung: https://www.vdoe.de/fileadmin/redaktion/download/zertifikat/2017-11_Checkliste-Ernaehrungsberater_fuer__Verbraucher.pdf